„Wo es von Huren nur so wimmelt„, Berlins Friedrichstraße

„Tschuldigung, ich suche die Querstraße.“
„Ah, die Querstraße“, könnte sie ihm – zum Beispiel – noch Anfang des 18. Jahrhunderts antworten, „wo nicht selten gemeine Hausschweine die Straße entlang trott(et)en.“
O ja, auch Umbenennungen haben Tradition. Die Quer- wurde zur Friedrichstraße, und die gemeinen Hausschweine verschwanden aus dem Straßenbild. Was kam danach? Was wird sein? Wir schreiten weiter ...
Die Friedrichstraße ist nicht irgendeine Querstraße, sie hat eine nahezu mythische Dimension. Diese Qualität beruht vor allem auf Tausend und einer Geschichte seit dem 18. und aus den 20er Jahren des 20. Jahr100s. – Noch etwas Geduld: Die schönen Geschichten und Gestalten folgen gleich! – Dann wurde mehr marschiert und abtransportiert als amüsiert und flaniert, wie wir wissen. In der Zeit der Genossen wurde das Genießen auch nicht gänzlich verboten, dennoch war die Gestaltung des Zeitvertreibs weniger frei. Zügig geht's nun voran. Die Gegenwart der Friedrichstraße ließe sich wohl immer noch so beschreiben bzw. singen:
Sie ist von Kopf bis Fuß auf's Bauen eingestellt. Ein Schild verspricht: Hier wird das alte Flair wieder hergestellt.
Auf zum „alten Flair“ also in die Friedrichstadt, an deren 1,2,3 Namensgeber wir hier erinnern. Waren die Fritzen und viele nach ihnen es doch, die gerne den „dicken Wilhelm markieren“ und die Puppen tanzen ließen. Zu jeder Zeit, ob Revolution, die nicht nur im Vormärz auch für Huren auf der Straße beginnt, oder Reaktion, die sich hinter verschlossenen Türen in wunderschönen Etablissements vergnügte, existierten in dieser Straße „Geschäfte, die jeden Anspruch befriedigten“.
Wir starten unsern Spaziergang über die 3 km lange Amüsiermeile am Oranienburger Tor – hurengeschichtlich eine Zwischenstation zwischen 'dem Elend am Alex' und dem 'Glamour' der Friedrichstraße.
Beginnen wir beim 'Café Greif', dem „Treffpunkt der Berliner Apachen“.
Bis zum Weidendamm gab es hier in den 20er Jahren über 50 Pensionen, Cafés, Absteigen verschiedenster Art; zwischen 3 und 10 Mark kostete „die vorübergehende Benutzung“ eines Zimmers.
Wir lassen den 'Friedrichstadtpalast' links liegen, „wo die Damen so reizvolle Kostüme trugen, dass die Herren vergaßen nach den steppenden Beinen zu schauen“, den Beinen der Nummerngirls.
Weiter zum 'Admiralspalast' mit Bad und Bar – in der NS Zeit war hier eine Nachtbar, in den Fünfzigern ein Presseklub mit dem internen Namen 'Cafe Internutt'. Heute sind das politische Kabarett 'Die Distel' und das 'Metropoltheater' hier beherbergt.
„ In der japanisch eingerichteten 'Admiralsbar' sitzen die 'Damen' vor der Eröffnung der Tanzlokale und warten auf ihr Glück. Der Innenarchitekt hat alles mit großer Vorsicht in halbdunkel getaucht, um den dort verkehrenden Frauen ein gewisses mystisches Relief zu geben. Es waren lustige Nächte ohne Zweck und Ziel (...) Die weiblichen Stammgäste unterscheiden sich nach Sekt oder Bierzwang in ihrer Qualität (...) Sie tragen die allerneuesten Schöpfungen der Mode. (...) Sie werden es für eine gewalttätige Einschränkung ihrer Persönlichkeit erachten, wenn man es ihnen verbieten wollte, Sekt zu trinken, ohne vorher mit einem silbernen Umrührer die Kohlensäure entquirlt zu haben. Diese sehr eleganten 'Damen' (...) plaudern und scherzen, und ihre Tischgenossen drücken – entzückt über ihre Reize, die sie ihnen zur Schau stellen – Goldstücke in die schmalen Hände. Ein verheißungsvolles Lächeln dankt ihnen.“
Aus der Vergangenheit lernen heißt für 'Damen' siegen lernen, das Motto ließe sich hier einsetzen. Die ökonomisch-diplomatischen Beziehungen, die Berlin heute Form geben, gebieten zumindest eine japanisch eingerichtete Bar. Wir brauchen wohl kaum daran erinnern, dass der Potsdamer Platz – Bauherr: unser aller Walk(wo)man-Hersteller Sony – nicht weit entfernt ist. Welche „schmale Hand“ würde nicht gerne DM/Euro und/oder Yen empfangen, hier in der Straße mit ihrer Tradition des „verheißungsvollen Lächelns“?!
Das 'Admiralsbad', auch 'Nuttenaquarium' genannt, war für sau sau Saus & Braus gemacht. „Die Nutte bewegt sich nicht nur auf dem Land, sondern auch im Wasser“.
„ Det fiel mir uff“, sagt der/die Berliner/in gern. Uns fiel uff, dass das Wort „Fremdenverkehr“ immer wiederkehrt in der Literatur zu dieser Straße. Ist ja auch kein Wunder, dort ist ja auch der Bahnhof. Wir verstehen nur Bahnhof, aber das ganz klar.
Die „frische Ware“ vom Lande kam dort an, wurde von „schrägen Grafen“ abgefangen. Berlinerinnen nahmen die Gelegenheit zur Tarnung so wahr: Sie stellten sich suchend vor die Fahrpläne und taten so, als wollten sie weit fortreisen. Und irgendein Er, arglos oder eingeweiht, spricht die Sie an: „Ja, wohin wollen sie denn, g'nädige Frau?“
Und gleich nebenan bot sich schon Gelegenheit, ausführlicher auf einander los- und einzugehen. Auf einem Schild der Kneipe 'Neumann', wurde ein „Kleines Verhältnis für 10 Pf.“ angeboten, d.h. eine kühle Blonde, zu der allerdings ein Kurzer gehört, ein Bier mit Korn.
Wenn der Tag die Nacht umarmen wollte, dann ging's weiter, z.B. ins 'Rokoko' und in die 'Bonbonniere' in der Nähe der Leipziger, mit „Tanz und Poesie und Erotik in der Praxis, handgreiflich vorgeführt“.
Dies war auch die Gegend der „Sexualethiker“. Vom Vortragspult weihen sie quasi wissenschaftlich ein: Die Vorträge sind allerdings eingerahmt von anderen Darbietungen, die mit Ethik weniger zu tun ha(-ha-)ben.
Das Bare und die Bar spielten hier die Hauptrolle, ab der Dorotheenstraße galt das nochmal verstärkt. Kaschemmen und Biergärten luden (!) ein, lockten an. In den späten Nachmittagsstunden herrschte dort „der stärkste Verkehr“.
„ Typisch für Berlin war ein vorderer Raum als Schankraum und Nebenräume für Gäste, die länger verweilen wollen. (...) Klavierspieler in allen Kaschemmen, auch jüdische Wirte.“
Nachtrestaurants ab 2 Uhr nachts! waren eine Institution, die wieder einzuführen sich lohnen könnte. Dort trafen sich alle, Frauen in Abendtoilette neben Stammgästen.
Mittlerweile sind wir an der Ecke Unter den Linden angekommen. Hier finden sich u.a. das 'Café Kranzler', das jetzt mit anderer Klientel auf dem Kudamm residiert. „Trotz Ladenschluß um zehn Uhr ist es nicht vermeidbar, dass die Halbwelt sich an Tisch und Fenstern niederläßt.“ Bei Kranzler, verlautbarte eine Tageszeitung in den 20er Jahren, sei „die Prostitution schon vor 50 Jahren“ zuhause gewesen.
Auch das 'Café Bauer' „mit hohen Preisen für die Geldaristokratie (...)ist die ganze Nacht geöffnet“. In den sechziger Jahren war hier das 'Café Kaputt' mit entsprechendem Publikum, heute trifft man sich hier im 'Lindencorso' zum teuren Milchkaffee.
Nachtkonditoreien sind eine leider aus dem Stadtbild verschwundene und dem Gedächtnis verlorene Sache(rtorte)? Eigentlich waren es verdeckte Bordelle „mit dunklen Nebenzimmern“. Berlin, wie es lacht und singt, dazu:

„ Untern Linden, Unter Linden,
gehn spazier'n die Mägdelein,
wenn du Lust hast anzubinden,
so marschiere hinterdrein.
Bist du dann am 'Café Bauer',
sagt sie dir noch: ich bedauer.“



Und es gab noch die Musikcafes wie im 'Admiralspalast' oder an der Kronenstraße das 'Kronen-Café' „mit höherer Musik“. Zu sehen und zu 'haben' waren dort „junge Damen in billiger Eleganz mit Hüten à la Mode, mit Fuchspelz und überschicken Stiefeletten, fesch und lebenssicher“
Das 'Cabaret-Café Kronprinz' an der Ecke Kronenstraße bot eine andere bunte Mischung: „Singspielhalle, Schale Mélange und Schokoladencakes, jüdische Witze“.
Wie heute noch waren hier die großen Hotels aufgereiht. In den zwanziger Jahren fand man hier zum Beispiel das 'Viktoria', heute heißt das Hotel 'Unter den Linden', im 'Grand Hotel' waren in der DDR-Zeit 'Valutenbagger' im Einsatz. Im Rahmen der Devisen- und Informationsbeschaffung war dem kommerziellen Sex doch ein Platz in der inneren Realpolitik eingeraümt worden. Obwohl die DDR offiziell verkündete: „Die Prostitution ist eine Ausgeburt kapitalistischer Menschenverachtung“, saß sie hier kokett auf den Barhockern.
„ Man kannte die Damen schon, die nicht aus bitterer Not, mehr wohl aus Habgier mit ihrem Wägelchen der Marke 'Trabant' zu ihrem Hotel-Jagdgebiet fuhren, ihre 'Pappe' abstellten, hier am Röckchen, dort am Löckchen zupften (...)“.
Zu den Tanzlokalen 'Legers' und 'Heils' an der Ecke Französische heißt es im 18. Jahrhundert: „Wenn Ordnung in Häusern der Unordnung, Schwelgerey und Unzucht möglich ist, so herrscht sie in einigem Verstande an diesen Orten. Die Mädchen sind am artigsten gekleidet, tanzen alle sehr gut, sind reinlich in der Bedienung. Hier kann Billiard gespielt und gespeist werden, und in einem Saal schön frisierte und gekleidete Mädgen zu einem Schäferstündchen für nur 8 Gr. eingeladen werden. Madame Leger läßt allerdings einen ernsthaften Text, eine russische Liebeserklärung mit der Karbatsche, wenn das Madchen mit einem Gast allzu lang plaudert und erlaubt nicht, dass diese sich mit Branntwein traktieren läßt oder sich wegwirft, d.h. viel belecken und betasten läßt, ohne einen reellen Gewinn zu erzielen.“
An der Ecke Friedrich- und Jägerstraße befand sich das legendäre 'Café National', vor der braunen Machtübernahme schon freundlich abgekürzt zu 'Café Nati'. Es gehörte zum „offiziellen Fleischmarkt“. Carl Zuckmayer läßt beiläufig in seinen Memoiren, eine der Frauen zu Wort kommen, die Goldfische-Anne:
„ Das 'Nati' hatte zwei Eingänge, einen hellerleuchteten in der Friedrichstraße, einen in der Nebenstraße, der Jägerstraße, der für Schleichende vorgesehen war. Kommt eine Familie herein, so kann sie am großen runden Familientisch Platz nehmen, dicht vor dem riesigen Buffet mit Aussicht über all die üppigen Schönheiten, die fast alle kostümiert sind, als wären sie von einem Ball hier eingekehrt. Bloße gepuderte Schultern, helle und bunte seidene Kleider und einen Fächer in der Hand. Der Fächer dient als Lustverbesserer (...) Wer an der schönen Alma vorbeigeht ohne ihr zuzulächeln, bekommt sicher einen Klaps mit dem geschlossenen Fächer. Sie sitzt an einem Pfeiler, dicht vor einem Fenster, zwischen roten Plüschpolstern, am Marmortisch. Der junge Mann, der da hineinklettert, bekommt den Fächer auf den Rücken. Er ist beglückt und wendet sich ihr zu, aber sie schneidet ein schiefes Gesicht. Mit solch jungen Koofmichs ist kein Geschäft zu machen.“
Im 'Café Stern' – am nördlichen Ende- war dagegen das „typische Berliner 3-5 M Mädchen“ zu finden, „das meist ohne Grazie und mit einer gewissen Schroffheit jeden Mann anlächelt und deren kräftige Finger auf Herkunft deuten: Dienstmädchen“.
Weiter – und wieder hinauf auf den sexuellen Sprossen der gesellschaftlichen Leiter in das 'Bernardsche Haus' in der Friedrichstraße 63, zwischen Mohren- und Kronenstraße mit „weitreichendem Renommée“. Ludwig Ganghofer war dort eingekehrt und irritiert von „unverschämten Grinsen der Dienstleute“. Mit einer „Frau im Morgenrock, sehr schön frisiert“ mußte er um den Preis feilschen. Erst in der „unruhigen, von häufigem Türklappern durchbrochenen Nacht wurde ihm jäh bewußt, wohin er geraten war, in ein Bienenhaus mit nicht nur einer Königin“. Dieses Etablissement war „nur für Wohlhabende; kein Fremder von Distinktion verließ die Stadt ohne einen Besuch. Auch Napoleon stattete 1806 nach Mitternacht einen Besuch ab.“
Die weiteren Stationen dieser 'Hur-Tour' der Friedrichtraße entlang müssen wir für andere Gelegenheiten (live mit uns unterwegs!) aufbewahren – dafür reichen diese Seiten nicht aus. Daher zum Schluß den Rückblick auf die „Stammlokale des mannmänlichen Eros“ im dunkleren und obskureren Teil der Friedrichtraße und in Nähe des Halleschen Tores. „Vom weißen Gift bis zur Liebe jeder Art wird hier alles gehandelt (...). In der 'Adonis-Diele' nehme man auf jeden Fall einen Brandy mit Soda zu sich, das gibt den Illusionen einen gewissen Spielraum.“
Illusionen und Spielraum sind die Stich-Worte zum Abschied dieser Ein-und Ausführung. Wir sagen: Auf Wiedersehn und hoffen Sie und Euch einmal leibhaftig zu begleiten auf einem Spaziergang in der Friedrichstraße – mit dem neuen Flair.

Medienrummel


Sexclusivitäten und Laura Méritt in den Medien